Interview mit Frau Gottwald zum Erinnerungsgang
Interview mit Frau Gottwald zum Erinnerungsgang

Interview mit Frau Gottwald zum Erinnerungsgang

Der Erinnerungsgang: ein paar Infos vorab

Wie wahrscheinlich fast alle von euch mitbekommen haben, hat sich am GEO in letzter Zeit viel um das Thema Erinnerungsgang, Judenverfolgung, den Stolen-Memory-Container und die Taten des 2. Weltkriegs gedreht. Aber was ist das alles eigentlich?

Während des 2. Weltkrieges haben die Nationalsozialisten Menschen, die nach den Vorstellungen ihrer Ideologie minderwertig waren, unmenschlich behandelt, gequält und ermordet. Darunter waren zum Beispiel Schwule und Lesben, Schwarze und Menschen mit anderen Religionen als dem Christentum, vor allem Juden.

Der 9. und 10. November 1938 sind die Tage der Reichspogromnacht. In dieser schrecklichen Nacht wurden Juden in ganz Deutschland, auch in Oldenburg, aus ihren Häusern getrieben. Ihre Wohnungen und Geschäfte wurden demoliert, zerstört und die Synagogen wurden in Brand gesteckt.

Die Juden mussten ihre Häuser verlassen. Sie wurden von Polizisten durch die Innenstadt zum Gericht getrieben, wobei schadenfrohe Jugendliche sie beschimpften und mit Gegenständen bewarfen. Von da aus wurden sie mit dem Zug ins Konzentrationslager Sachsenhausen verfrachtet, ohne dass sie sich von ihren Familien verabschieden konnten oder Wertgegenstände mitnehmen durften. Ab hier wurde alles nur noch schlimmer…

Der Erinnerungsgang findet jedes Jahr am 10. November statt, um an diese schreckliche Nacht zu erinnern. Es geht darum, schweigend der Opfer des Antisemitismus zu gedenken und zu zeigen, dass sie nicht vergessen wurden.

Jedes Jahr organisiert eine Oldenburger Schule diesen Gang und die damit zusammenhängenden Veranstaltungen wie zum Beispiel den Kulturabend. Dieses Jahr war das GEO an der Reihe.

Einige Lehrer*innen und auch Schüler*innen haben sich die größte Mühe gemacht, um diesen Tag würdevoll zu gestalten. Darunter auch Frau Gottwald. Damit der Erinnerungsgang, die damit verbundene Organisation und der Stolen-Memory-Container, der auf dem Lehrerparkplatz des GEOs vorzufinden ist, noch einmal erklärt und verdeutlicht werden, haben wir sie um ein Interview gebeten. Genau dieses könnt ihr hier jetzt lesen.


Das Interview mit Frau Gottwald

GEOnline: Wieso haben Sie den Erinnerungsgang mit veranstaltet?

Frau Gottwald: Ich war 2018 mit Frau Wehen-Peters und Herrn Rosenfeld auf dem Erinnerungsgang und dann haben wir uns die Ausstellung angesehen, die aus einem kleinen Bereich unten in der Landesbibliothek bestand, und als wir die abgeschritten haben, haben wir uns gedacht, dass wir das vielleicht auch könnten und dass unseren Schüler*innen vielleicht auch noch ein bisschen mehr einfallen könnte. Das soll jetzt nicht abwertend gegenüber der Schule sein, die damals den Erinnerungsgang veranstaltet hat, aber das war unser Ziel. Generell halte ich das für eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, dass man sich mit zeitgenössischen Problemen wie dem Antisemitismus öffentlich auseinander setzt.

Was ich festgestellt habe, was das Schwierigste war, ist, ganz viele Leute in Kontakt zu bringen und zwar in konstruktiven Kontakt.

GEOnline: Was genau beinhaltet denn die Organisation der Veranstaltung „Mehr als ein Stern“?

Frau Gottwald: Ja, ganz schön viel. Also erstmal natürlich muss man den Erinnerungsgang am 10.11 organisieren und dann gibt es immer ganz feste Bestandteile. Man muss die Ausstellung in der Landesbibliothek organisieren, wofür man natürlich ein Konzept  braucht und dann stellen die Schulen immer ein Rahmenprogramm zusammen. Was ich festgestellt habe, was das Schwierigste war, ist, ganz viele Leute in Kontakt zu bringen und zwar in konstruktiven Kontakt. Das heißt, dass man sich sehr häufig und gut abspricht, sodass keine Dinge doppelt erledigt werden, keine Missverständnisse entstehen oder Dinge einfach gar nicht gemacht werden. Das war doch zum Teil gar nicht so leicht, obwohl wir sehr früh angefangen haben.

GEOnline: Was hat es mit dem Container auf dem GEO-Lehrerparkplatz auf sich?

Frau Gottwald: Dieser Container ist ein Container, der ganz normal auch auf Schiffen benutzt wird. Da kann man natürlich ganz viele Dinge unterbringen, aber dieser Container wurde umgebaut, um darin eine Ausstellung zu zeigen. Diese Ausstellung heißt „Stolen Memory“ oder gestohlene Erinnerungen, und in dieser Ausstellung werden Effekten gezeigt, also die Gegenstände, die die Nationalsozialisten den Opfern abgenommen haben, als diese in die Konzentrationslager kamen. Es gibt keine Gegenstände von Juden, aber zum Beispiel hauptsächlich von ost-europäischen Zwangsarbeitern. Ich finde diese Ausstellung sehr interessant. Sie passt zwar auch nicht genau zum Erinnerungsgang, aber sie ist doch irgendwie gut, um zu zeigen, wie die Nationalsozialisten mit ihren Opfern umgegangen sind. Seien es Juden oder seien es eben andere Opfergruppen. Und für Schüler*innen ist das auch sehr interessant. Es haben auch viele gesagt, als ich mit ihnen im Container war, dass sie gemerkt haben, dass sie ja auch was Persönliches haben, etwas, was ihnen ganz wichtig ist und dass sie sich schlecht fühlen würden, wenn ihnen diese Dinge weggenommen werden würden. Da stellt sich so eine Art von Verbindung her und deswegen gefällt mir diese Ausstellung auch extrem gut. Abgesehen davon finde ich sie sowohl optisch als auch inhaltlich sehr ansprechend.

GEOnline: Kam die Idee denn dann auch von ihnen?

Frau Gottwald: Ja, die Idee kam von mir.

Ich muss sagen, jetzt direkt am Tag nach dem Gang fühle ich mich, als ob ein Container auf mich gefallen wäre – mehrfach.

GEOnline: Wie fühlt es sich jetzt denn an, wo alles geschafft ist?

Frau Gottwald: Ich muss sagen, jetzt direkt am Tag nach dem Gang fühle ich mich, als ob ein Container auf mich gefallen wäre – mehrfach. Das liegt einfach daran, dass das alles mit sehr viel Anspannung verbunden ist. Es ist ja nicht nur so, dass es sich nur um ein Projekt unserer Schule handelt, sondern die ganze Stadt und die anderen Schulen sind ebenfalls beteiligt. Das heißt, es wird ja auch geschaut, und deswegen wollten wir das alles auch so gut wie möglich machen. Und es war auch einfach sehr aufwendig, sehr zeitaufwendig. Deswegen fühle ich mich heute tatsächlich erstmal sehr platt, aber ich glaube, dass sich das in den nächsten Tagen bessern wird. Dann wird sich auch immer mehr das Gefühl einstellen, das heute schon da war, sodass man in der Rückschau schon sehr stolz auf das, was man geleistet hat, ist.

Also nicht nur das, was ich persönlich geleistet habe, sondern vor allem auch bei der Ausstellung, in der die tollen Schülerarbeiten zu sehen waren. Und gestern fand ich es auch toll auf dem Gang, dass so viele Schüler*innen da waren. Das hat mir gut gefallen. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass noch mehr da sind, aber ich bin da manchmal auch etwas überambitioniert. Das macht einen schon stolz, auf jeden Fall.

Von daher denke ich schon, dass wir in diesem Jahr bleibende Erinnerungen geschaffen haben.

GEOnline: Also dann sind Sie zufrieden oder hätten sie sich das noch besser vorstellen können?

Frau Gottwald: Es ist eine persönliche Schwäche, dass ich grundsätzlich nie zufrieden bin, aber im Verhältnis bin ich schon ziemlich zufrieden. Man sollte auch einfach mal zufrieden sein mit dem, was man geschafft hat. Von daher denke ich schon, dass wir in diesem Jahr bleibende Erinnerungen geschaffen haben.

GEOnline-Redakteurin Lina Behnken im Gespräch mit Frau Gottwald

GEOnline: Hatten Sie so ein persönliches Highlight?

Frau Gottwald: Also am besten gefallen hat mir immer, wenn jemand von den Schüler*innen zu mir in die Vorbereitung gekommen ist und „Ach so geht das! Jetzt habe ich das verstanden!“ oder „Ach ja. Mir ist da noch etwas Tolles eingefallen. Können wir das auch noch machen?“, gesagt hat, irgendetwas nachgefragt hat oder etwas Tolles aufgeschrieben hat. Das finde ich immer gut. Und von den Veranstaltungen fand ich den kulturellen Abend sehr beeindruckend, unter anderem auch die Art der Vorleser*innen, wie sie das rübergebracht haben.

Und ja, der Gang ist auch immer etwas Besonderes, weil ich das immer sehr bewegend finde, so viele Menschen auf der Straße zu sehen und natürlich die Stimmung. Ich habe von einigen Stimmen gehört, dass es stiller war dieses Jahr als sonst. Aber so dieses Ganze, einfach etwas zu tun, was größer ist als Schule, das finde ich immer gut. Für mich waren das immer so kleine Highlights für sich.

GEOnline: Was bei dem kulturellen Abend aufgefallen ist, war, dass niemand geklatscht hat.

Frau Gottwald: Ja, das stimmt.

GEOnline: Vielleicht hatte das etwas mit der Stimmung zu tun, die durch die traurige Geschichte entstanden ist.

Frau Gottwald: Schon, aber ich finde das manchmal auch ein bisschen schwierig: Warum sollte man nicht klatschen? Warum sollte man auf dem Erinnerungsgang nicht auch lachen? Naja…

GEOnline: Einige haben, glauben wir, nicht verstanden, was das am Ende des Erinnerungsganges mit der Kerze auf sich hatte.

Frau Gottwald: Die Liebfrauenschule hat mal, als sie den Gang organisiert haben, die Kerze gespendet als neu eingerichtete Tradition. Das Licht steht ja für Helligkeit, für Freude, für Lebendigkeit und es steht natürlich auch dafür, dass etwas überdauert. Sie wollten, dass die Erinnerung an die Opfer quasi mit Hilfe dieser Flamme übertragen wird, so wie die Idee der Olympischen Spiele mit dem olympischen Feuer.

Trotzdem habe ich immer das Gefühl, ich habe da eine gewisse Verantwortung.

GEOnline: Wie sind sie das erste Mal mit der Vergangenheit von Deutschland bezogen auf den 2. Weltkrieg in Berührung gekommen?

Frau Gottwald: Das ist vermutlich schon sehr lange her. Irgendwann in der Schulzeit, vermute ich mal. Ich habe immer den Geschichtsunterricht total gerne gemocht. Als ich so in eurem Alter war, da liefen auf Vox immer so Dokumentationen. Eine hieß auf jeden Fall ,,Der 2. Weltkrieg in Farbe“. Da gab es abendelang hauptsächlich so Dokumentationen über das Kriegsgeschehen. Es würde jetzt zu weit führen zu erklären, dass sich das heutzutage natürlich gewandelt hat. Ich glaube, das würde man heutzutage nicht mehr zeigen. Man würde eher so etwas wie ,,Hitlers Helfer“ zeigen.

Mich hat es immer schon sehr fasziniert, das zu sehen. Die Greuel haben mich auch immer sehr bewegt. Ich fand es immer ganz furchtbar, das zu sehen. Ich hatte eine Zeit lang auch immer das Gefühl von Schuld, obwohl wir Geschichtslehrer*innen den Schüler*innen auch immer erklären und wir auch selber wissen, dass wir keinen Anteil an den Taten haben. Trotzdem habe ich immer das Gefühl, ich habe da eine gewisse Verantwortung. Ganz ist das glaube ich nicht weggegangen und deswegen habe ich heute auch immer noch das Gefühl, dass ich mich da engagieren müsste. Und ja, tatsächlich durch die Schule und die Fernsehdokumentationen bin ich darauf gekommen und irgendwie drangeblieben.

GEOnline: Haben Sie denn selber Erfahrungen mit Judenhass gemacht? Also nicht unbedingt persönlich, sondern von Bekannten zum Beispiel, dass sie das mitbekommen haben?

Frau Gottwald: Nein, eigentlich nicht. Könnte ich jetzt so nicht sagen. Also als ich jünger war, war ich durchaus mal auf solchen Demonstrationen, auch gegen Neonazis, aber dass ich jetzt wirklich mal dabei gestanden oder beobachtet hätte, dass ein Mensch jüdischen Glaubens irgendwie angegriffen wurde auf Grund dieser Eigenschaft, eigentlich nicht.

GEOnline: Wieso ist es denn speziell Ihnen so wichtig, über das Thema zu sprechen?

Frau Gottwald: Also mir ist es halt einfach total wichtig, Menschen dazu zu erziehen, zu erkennen, dass jeder Mensch seine Rechte hat aufgrund der Tatsache, dass er ein Mensch ist. Egal, was er sonst noch für Eigenschaften hat. Ich finde, jeder Mensch sollte so akzeptiert werden, wie er ist. Solche Themen kommen nun auch öfters im Geschichtsunterricht dran, also dass man sich besonders für eine Gruppe einsetzt. Aber auch wenn sich irgendwas anderes im Deutschunterricht oder so anbietet, dann versuche ich auch da gerne darauf hinzuweisen, dass niemand besser oder schlechter ist als irgendjemand anderes. Das ist mir auch im Privatleben einfach total wichtig, dass Menschen gleich behandelt werden, gleichberechtigt sind und existieren dürfen.

Eigentlich versuche ich immer, einen kleinen Denkanstoß zu geben: Wie könnte man das sehen?

GEOnline: Welche „message“ möchten Sie übermitteln und den jüngeren Generationen mitgeben?

Frau Gottwald: Also generell würde ich sagen, junge Leute sollten lernen, sich selbst zu behaupten und sich selbst zu helfen. Ich bin kein Fan von erhobenem Zeigefinger und irgendwelchen Instruktionen, dass man in der Situation genau so und so handeln muss. Eigentlich versuche ich so immer, einen kleinen Denkanstoß zu geben: Wie könnte man das sehen? Vielleicht auch mehrere Perspektiven einzufügen, sodass man sich da selbst so seine eigene Meinung bilden kann. Und dann hoffe ich natürlich, dass ich am Ende mündige Staatsbürger*innen erziehe, die den demokratischen Staat verteidigen können, falls er mal in Gefahr geraten sollte. Aber wichtig ist für mich, dass sie das aus sich heraus tun, indem sie selber so eine Haltung entwickeln.